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Sport im Freien

Ein Beitrag von fussball.de

Die Kollateralschäden des Sport-Lockdowns treten immer deutlicher zutage. Kritische Stimmen werden insbesondere im Hinblick auf die Folgen für Kinder und Jugendliche lauter. Prof. Dr. Werner Krutsch klärt die aktuelle Situation für uns auf. Der 41-Jährige ist Mitglied der DFL/DFB-Taskforce Sportmedizin, Verbandsarzt beim Bayerischen Fußballverband und ehemaliger Fußballer.

Wir haben mit dem Mediziner über Kinder am Tablet, den wissenschaftlichen Sachstand rund um den Sport im Freien und eine möglichst schnelle Rückkehr in den Trainingsbetrieb gesprochen.

FUSSBALL.DE: Wie schätzen Sie die Infektionsgefahr beim Fußball im Freien aus wissenschaftlicher Sicht ein, Herr Krutsch?

Werner Krutsch: Der Fußball hat im Vergleich zu anderen Sportarten zwei Vorteile. Er wird erstens im Freien ausgeübt und es handelt sich im Gegensatz zur landläufigen Meinung auch nicht um eine richtige Vollkontaktsportart.

„Wir nehmen basierend auf wissenschaftlichen Daten an, dass von einem Fußballtraining im Freien keine Infektionsgefahr ausgeht“

Sind riskante Kontakte im Fußball tatsächlich so selten?

Krutsch: Der Fußball hat sich taktisch weiterentwickelt. Der klassische Manndecker, der seinem Gegenspieler über 90 Minuten nicht von der Seite weicht, ist Geschichte. Unsere Studien und Analysen zu den Kontaktzeiten im Profi- und Amateurfußball zeigen, dass es bei Spielen zu sehr unregelmäßigen Kontakten von wenigen Sekunden kommt und die Ansteckungsgefahr vernachlässigbar gering ist.

Im Trainingsbetrieb können bei Übungsformen jedoch längere Kontaktzeiten auftreten.

Krutsch: Das stimmt. Aus diesem Grund sollte in den Trainingseinheiten während der Pandemie auf alle Übungsformen und Zusammenkünfte verzichtet werden, in denen sich Personen über einen längeren Zeitraum Kopf-an-Kopf begegnen. Kräftigungsübungen oder Stretching in Zweiergruppen mit Körperkontakt oder eine längere Teambesprechung im Pulk sind aktuell zum Beispiel zu vermeiden.

Häufig ist der Einwand zu lesen, dass im Sport die Infektionsgefahr bei den Zusammenkünften rund ums Training lauert.

Krutsch: Das ist ein zentraler Aspekt. Im Indoorbereich müssen die Hygieneregeln zwingend eingehalten werden: Abstand halten, Maske tragen, Umkleidekabinen zeitlich versetzt benutzen. Die Amateurvereine haben im vergangenen Sommer bewiesen, dass sie die Hygienekonzepte diszipliniert umsetzen. Zudem wird das Wetter immer besser, häufig kann also auf eine Nutzung der Kabinen für Besprechungen verzichtet werden oder alle Fußballer*innen können bereits umgezogen zum Platz kommen.

Sie plädieren also für eine Rückkehr in den Trainingsbetrieb?

Krutsch: Definitiv. Wir nehmen basierend auf wissenschaftlichen Daten an, dass von einem Fußballtraining im Freien keine Infektionsgefahr ausgeht.

Dann spricht aus Ihrer Sicht auch nichts dagegen, ohne Beschränkung der Spieler*innenanzahl ins Training zurückzukehren?

Krutsch: Nein, ein Training, wie beschrieben, ist unproblematisch und sollte ab sofort wieder möglich sein: Der Spielbetrieb muss dann mit den jeweiligen Verbänden geklärt werden.

Wie erklären Sie sich die Zurückhaltung von Seiten der Politik?

Krutsch: Das lässt sich schon erklären, auch wenn es teilweise nicht einfach zu vermitteln ist. Die Entscheidungen hängen von Einschätzungen zum Ansteckungsrisiko im Outdoorsport ab. Auch das Vertrauen in die Disziplin bei der Einhaltung der Hygienekonzepte im Indoor-Bereich steht auf dem Prüfstand. Hier werbe ich für eine realistische Einschätzung der Infektionsgefahr, die vom Sport im Freien ausgeht. Auch die Gesellschaft für Aerosolforschung fordert einen anderen Umgang mit Aktivitäten im Freien und stützt sich ebenfalls auf aktuelle Studien, die die Ergebnisse unserer eigenen Studien gut erklären.

Der Suchtforscher Rainer Thomasius erklärte jüngst im Deutschlandfunk, dass Kinder und Jugendliche im Schnitt 75 Prozent mehr Zeit vor dem Bildschirm verbringen als in Vor-Corona-Zeiten. Digitaler Unterricht ist hier noch gar nicht mitgerechnet. Vergessen wir aktuell, welche gesundheitsfördernden Effekte vom Fußball ausgehen?

Krutsch: Die klare Antwort lautet: Ja, denn Fußball zeigt nachweislich durch Forschungsarbeiten bewiesene gesundheitsprotektive Effekte. Insbesondere Kinder und Jugendliche sind für ihre Entwicklung auf das soziale Gefüge, das der Sport ihnen bietet, angewiesen. Das ist elementar für die Entwicklung der Kinder. Die Freigabe von Fußball stellt aus meiner Sicht eine Lösung für einige aktuelle Probleme mit dem fehlenden Sport beim Homeschooling dar und könnte auch Kindern ein Sportangebot bieten, die jetzt nach Sport oder Abwechslung lechzen.

Welche nächsten Schritte erwarten Sie von der Pandemie-Politik?

Krutsch: Ich möchte mich für den Mannschaftssport im Freien stark machen, weil er überwältigende Vorteile mit sich bringt. Er bietet Kindern die Möglichkeit, die Einschränkungen in Indoor-Bereichen wie der Schule zu kompensieren. Fußball ist ein Teil der Lösung.

Besorgt Sie der lange Lockdown in Bezug auf die Kinder?

Krutsch: Viele Kinder haben den Sport im Verein erst kürzlich kennengelernt, sind nun jedoch schon seit langer Zeit gezwungen, sich Alternativen zu suchen. Andere geben an, mit dem Sport aufzuhören. Unsere Kinder sitzen mehr zu Hause, sind länger online oder spielen am Tablet – mit eigentlich bekannten Folgen auf den Stoffwechsel, das Selbstvertrauen und die Fitness der Kids. Was mich besorgt: Unsere Kinder und Jugendlichen gewöhnen sich durch den sehr langen Lockdown Verhaltensweisen an, von denen wir nicht wissen, ob und wie es uns nach der Pandemie gelingen wird, sie wieder zu verändern.

Autor/-in: Tim Noller

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